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Von Gläsern, Humpen und Flaschen

Die „Sozialisierung“ des Biertrinkers beginnt, wie auch andere Abschnitte des Lebens, meist mit der Flasche. ;-)

Auch wenn das Trinken aus der Flasche in diesem Abschnitt des Lebens als cool empfunden wird, so bringt man sich doch um einen Gutteil des Genusses. Auch wenn das bei so mancher Biersorte kaum ins Gewicht fällt und es bei vielen Biertrinkern gewissen Alters eher ums „wirkungsorientierte Trinken“ geht.

Wir alle haben mal in der Schule gelernt, dass wir auf unserer Zunge verschiedene Geschmäcker an unterschiedlicher Stelle wahrnehmen. So wird beispielsweise Süße vornehmlich an der Zungenspitze geschmeckt und Bittere eher am Zungengrund.

Hinzu kommen noch die direkt wahrnehmbaren Geschmacksrichtungen „salzig“, „sauer“ und „Umami“ (Fleischgeschmack). Wissenschafftlich diskutiert wird auch über einen sechsten Geschmackssinn der „Fett“ direkt schmecken kann. All diese Geschmäcker werden an unterschiedlichen Stellen der Zunge mehr oder minder stark wahrgenommen.

Wir sind in der Lage direkt Erdbeere von Kirsche und Fleisch von Fisch am Geschmack zu unterscheiden. Das gelingt uns weil sich die Speisen beim Kauen über der ganzen Zunge verteilen und sich das Aroma einer Speise aus der Kombination der unmittelbar wahrnehmbaren Geschmäcker ergibt. Dazu ist die Verteilung der Speise über die ganze Zunge unerlässlich.

Kippen wir uns jetzt ein Bier aus der Flasche zügig hinter die Binde, trifft das Bier in etwa auf der Zungenmitte auf und läuft rasch über den Zungengrund in den gierigen Schlund. Das hat zur Folge, dass wir in der Hauptsache die Bittere des Bieres schmecken, die feinen Aromen des Hopfens und des Malzes aber auf der Strecke bleiben. Vermutlich rührt daher der Siegeszug des Pilseners. Es ist in der Hauptsache bitter und verfügt kaum über wahrnehmbare Hopfen- und Malzaromen.

Dann passt es ja, könnte man sagen. Aber selbst beim Pils lassen sich im direkten Vergleich Unterschiede im Geschmackserlebnis zwischen Flasche und Glas wahrnehmen. Bei aromatischeren Biersorten verstärkt sich der Effekt.

Ein Glas sorgt mit seiner weiteren Öffnung dafür, dass das Bier beim Trinken viel besser auf der Zunge verteilt wird. Nur so können wir die Aromen des Biers richtig schmecken.

Auch das Riechen des Dufts eines Bieres beeinflusst die Geschmackswahrnehmung deutlich. Dies fällt beim Trinken aus der Flasche völlig weg. (Der geneigte Pilstrinker könnte jetzt fragen: Welcher Duft? Antwort: Einfach mal andere Biersorten, wie etwa ein Pale Ale, probieren und daran riechen.)

Bierglasformen gibt es wie Sand am Meer. Von Bechergläsern wie die zierliche Kölschstange, das Altbier-Glas oder dem klassischen Willibecher, über zahlreiche Gläser in Tulpenform oder Sonderformen existiert eine riesige Vielfalt.

So hat gefühlt jede Brauerei das passende Glas zur eigenen Biersorte und zu den meisten Bierstilen gibt es wiederum stiltypische Gläser. Vieles davon ist schlicht Marketing, anderes soll tatsächlich das Aromenprofil des jeweiligen Bieres hervorheben. Hier unterscheidet sich Bier also nicht vom Wein, wo es nicht nur zu weiß oder rot das passende Glas gibt, sondern sogar zur Rebsorte.

Begründet liegt das eben an der Geschmackswahrnehmung der Zunge, wie zuvor beschrieben. Über die Glasform lässt sich grob bestimmen wo das Getränk auf der Zunge auftrifft und wie es sich dort verteilt. Genau das bestimmt die Wahrnehmung des Geschmacks.Sommelier Glas

Auch die Schaumbildung beim Zapfen wird über die Glasform gezielt beeinflusst. So dürfte es vermutlich deutlich länger dauern ein Pils in eine Kölschstange zu zapfen als in eine Tulpe.

Als ideales Glas für Geschmackswahrnehmung kann das Bier-Sommelier-Glas angesehen werden. Es verteilt das Bier über einen sich nach außen öffnenden Rand immer gut auf der Zunge und kommt auch mit unterschiedlicher Schaumentwicklung verschiedenster Biere gut klar. Auch um den Duft eines Bieres zu riechen ist es optimal geeignet. Das Sommelier-Glas sollte im Idealfall nur zweifingerhoch gefüllt werden, ähnlich wie ein Rotweinglas. Das sorgt dafür, dass die Nase den Duft des Bieres besser aufnehmen kann.

Ebenfalls gut geeignet für alles, sind typische Craft-Beer Gläser. Die gibt es in den Größen 0,1 bis 0,3 Liter evtl. auch größer. Sie haben eine eigenwillige Form, deren genauen Grund ich nicht kenne. Auch sie haben einen nach außen offenen Rand um das Bier schön auf der Zunge zu verteilen. Die 0,1 Liter Variante wird gerne bei Bier-Tastings verwendet.Tasting-Glas

Ansonsten gilt, wer das zum Bier gehörende Glas nutzt, macht schon mal keinen Fehler.

Dazu eine Anekdote aus einer früheren Stammkneipe, der Ratsschänke in Wetzlar (Ist heute ein Restaurant). Die Ratsschänke war eine „Licher Kneipe“ was hinsichtlich der Bier-Qualität der damals noch existierenden beiden Wetzlarer Brauereien einem Lichtblick glich!. Es gab das Licher Pils immer in der Licher-eigenen Tulpe und alle waren glücklich. Dann hat, aus Kostengründen die Licher Brauerei (so wurde es uns erklärt) Gläser nicht mehr kostenlos geliefert. Das führte dazu, dass der Wirt der Ratsschänke, ebenfalls aus Kostengründen auf „Noname-Tulpen“ ausgewichen ist. Diese waren bauchiger als die Licher-Tulpen. Das Resultat waren massenhafte Proteste der Gäste, da das Bier nicht mehr schmeckte. Durch die andere Glasform wurde das Bier beim Zapfen viel mehr im Glas verwirbelt, weshalb es drastisch Kohlensäure verloren hat und quasi abgestanden zum Gast kam. Schlussendlich wurden die Billig-Tulpen entsorgt und schweren Herzens Gläser bei Licher gekauft. Unterm Strich war das besser für die Kneipe, da der Bier-Absatz mit den Ersatzgläsern deutlich zurück gegangen war.

Historischer BierkrugAnders als bei Gläsern ist die Formenvielfalt hier weit geringer. Es gibt sie aus Glas oder Steingut, sowie mit und ohne Deckel. Dabei ist, gleich ob schlank und hoch, oder breit und wuchtig, die Öffnung immer groß genug, damit sich das Bier schön gleichmäßig über die Zunge verteilt.

Der wirkliche Vorteil des Krugs liegt in seiner Dickwandigkeit. Ist der Krug gut vorgekühlt bleibt das Bier darin auch im Sommer lange angenehm kalt und steht nicht so schnell ab, wie in einer dünnwandigen Biertulpe.

Mit Deckel ist der Schutz gegen Wespen und anderes Getier gleich eingebaut.

Ansonsten steht der Bierkrug eher für Traditionelles. Er wird gerne bei althergebrachten Biersorten mit ausgeprägtem Malz-Aroma verwendet. Bildlich gesprochen: Ein edles Bier-Sommelier-Glas würde beim Biergenuss auf einem Mittelalter-Markt oder in einem historischen Kellergewölbe eher fehl am Platz wirken.

Die nebenstehende Abbildung zeigt, laut dem Museum in dem er steht, einen historischen Bierkrug, auch wenn die darauf abgebildete Person in vollen Zügen Wein trinkt, umringt von Weinreben…

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  • Zuletzt geändert: 2024/05/09 16:09
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